Buddha im Odenwald

Sonntagmorgen, kurz nach halb fünf. Draussen herrscht noch Dunkelheit, es regnet in Strömen. Frau Lenz prüft das Fotoequipment, während ich die Wanderstiefel schnüre. Wir sind in der Klosteranlage BUDDHAS WEG im Odenwald. In wenigen Minuten beginnt die Morgenmeditation für die Teilnehmer des mehrtägigen Seminars, das Frau Lenz mit ihrer Kamera dokumentieren wird.

Mein Weg zu Buddha führt zu dieser nachtschlafenden Zeit nicht in die Halle für meditative Übungen. Ich werde die Gunst der frühen Stunde nutzen und zuerst durch den gerade erwachenden, regennassen Wald streifen. Am Vorabend überkam mich die Vision, wie ein zweiter Andreas Kieling [1] im dunklen, deutschen Tann auf Wildschweine, Füchse und Rotwild zu stossen. Fasziniert von dem Gedanken ziehe ich den Regenponcho über.

Hinter dem Teehaus des buddhistischen Zentrums führt mich ein kleiner Pfad den Hardberg steil hinauf. Nach etwa zwanzig Minuten stosse ich auf einen Kiesweg, dem ich weiter folge – nicht ohne immer wieder nach rechts oder links in den dichten Mischwald einzutauchen, um still zu verharren und die Umgebung zu beobachten. Aber ausser dem Prasseln der Regentropfen auf meinem Überwurf ist kein Laut zu vernehmen – die Tierwelt meidet meine Pfade (bis auf ein später den Weg kreuzendes Reh und ein Eichhörnchen auf einem Baumstamm, das sich partout nicht fotografieren lassen will und ständig hin und her springt). So begebe ich mich nach zwei Stunden auf den Rückweg, um das Frühstück im Kloster nicht zu verpassen…

DAS KLOSTER

BUDDHAS WEG (vietnam. Phat Dao) ist ein buddhistisches Kloster- und Heilzentrum in der Nähe von Wald-Michelbach. Der Abt des Klosters, der Ehrwürdige Thich Thien Son, wurde 2002 in Frankfurt am Main mit der Gründung einer vietnamesischen Gemeinde beauftragt. Doch die bezogene Pagode Phat Hue in der Hanauer Landstrasse reichte bald nicht mehr aus, um allen Interessierten Platz für Seminare und Workshops zu bieten. So suchte man zusätzliche Räumlichkeiten und erwarb eine zum Verkauf stehende ehemalige Heilklinik im Odenwald, die seitdem für den eigenen Bedarf umgestaltet wird.

Abt, Nonnen und Mönche bewohnen das Zentrum ganzjährig, üben dort das harmonische Zusammenleben, geistiges Training und die Bewusstseinsschulung. Dem spirituellen Leben kann man als Gast jederzeit für einige Tage beiwohnen, das Kloster freut sich über jeden Besucher. Für Übernachtungs- oder Tagesgäste wurden Zimmer und ein Teehaus eingerichtet. Zudem bietet das buddhistische Zentrum eine Praxis für Naturheilverfahren, die sich an den Methoden der Traditionellen Chinesische Medizin (TCM) orientiert (Akupunkturen, Massageanwendungen, Aromatherapien, usw.).

DER WEG ZUR STILLE

Das Kloster lebt und lehrt die über tausend Jahre alte vietnamesische Zen-Tradition, die vom chinesischen Meister Lin-Chi begründet wurde. Im Mittelpunkt steht dabei das Erlangen der Klarheit über den eigenen Geist, verbunden mit achtsamem und fürsorglichem Handeln im Alltag. Ziel ist, bei allem Tun die innere Ruhe zu finden, in der eigenen Mitte zu verweilen und den Augenblick so wahrzunehmen, wie er wirklich ist. Hauptbestandteil der spirituellen Übungen ist dabei die Meditation. Die Kunst des Zen ist der Weg zur Stille…

DER WEG ZU SICH

Neben klösterlicher Gemeinschaft und Heilpraxis bietet das Zentrum eine ganze Reihe von Seminaren und Workshops. Auf dem Programm stehen u. a. Qi Gong und Tai Chi, Heilfasten, Lach-Yoga, Burnout-Coachings und Zen-Kurse. Höhepunkte des Jahres sind jedoch die drei- bis zehntägigen Meditationsretreats. Eines dieser Seminare erleben wir während unseres Besuchs im Kloster.

Das Retreat besteht aus täglichen Gruppen- und individuellen Meditationen, gemeinsamen Mahlzeiten, Diensten für die Gemeinschaft sowie Unterweisungen in die buddhistische Lehre und Gruppeninterviews. Der kontemplative Tagesablauf (von 5 bis 22 Uhr) ist fest vorgegeben. Während des Retreats, das wir zeitweise begleiten dürfen, gilt für alle Teilnehmer (mit Ausnahme der Gesprächstreffen) ein Schweigegebot – auch im Speisesaal!

Im Rahmen der Retreats werden für die Einführungen in den Buddhismus angesehene Meister eingeladen. An diesem Wochenende erläutert der Ehrwürdige Ajahn Brahm, der in Australien ein Kloster leitet, sehr humorvoll und praktisch die buddhistische Lehre (drei kurze Beispiele seiner Erzählungen, die das buddhistische Denken veranschaulichen, habe ich am Ende dieses Artikels zusammengefasst)!

Um das Klosterzentrum zu besuchen oder an den Workshops teilzunehmen, muss man keineswegs buddhistischen Glaubens sein. Es ist ein Ort für alle Menschen, die im geschützten Raum bei sich selbst ankommen wollen oder Impulse für die eigene, persönliche Lebenssituation suchen.

BUDDHAS WEG – ein Ort für die Sinne und für das Sein.

(Fotos: Katja Lenz und der Autor dieser Zeilen. Zum Öffnen der Galerie ein Bild anklicken)

Alle Informationen über das Kloster und die Veranstaltungstermine finden sich auf der Webseite www.buddhasweg.eu

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ERZÄHLUNGEN DES EHRW. AJAHN BRAHM

Das australische Kloster, das heute durch Ajahn Brahm geleitet wird, musste damals von den Mönchen eigenhändig erbaut werden. Ajahn Brahm übte also das Maurerhandwerk und begann, die erste Mauer hochzuziehen, wobei er sehr darauf achtete, sorgfältig zu arbeiten. Als die Mauer endlich fertig war und er sein Werk sorgsam prüfte, fielen ihm zwei Steine auf, die unregelmässig gesetzt waren. Ajahn Brahm ging zum Abt und bat, die fehlerhafte Arbeit wieder niederreissen zu können, um noch einmal von vorne zu beginnen. Der Abt begleitete ihn zur Mauer und schaute sie an, dann sagte er: „Das ist eine sehr gute Arbeit. Die Mauer bleibt stehen“. Brahm entgegnete: „Seht Ihr nicht die zwei Steine, Meister? Die Mauer ist misslungen!“. Worauf der Abt antwortete: „Ich sehe zwei fehlerhafte Steine. Aber ich sehe auch 998 hervorragend gemauerte Steine. Schaue nicht auf die zwei Unvollkommenheiten, sondern sehe das Viele, was Du gut gemacht hast!“

Ein alter japanischer Mönch hörte von einem Kloster, das den schönsten Garten weit und breit hatte. Also machte er sich auf den Weg und besuchte die Anlage. Dort angekommen, beobachtete er, wie ein junger Mönch in dem Garten jedes einzelne Blatt und jeden Zweig vom Boden aufnahm, lange begutachtete und dann entweder in eine Tonne für den Kompost warf oder sehr prüfend eine Stelle im Garten suchte, um das Stück dort so zu platzieren, dass es der gesamten Harmonie der Anlage diente. Dies ging den ganzen Tag so, bis der Alte zu dem jungen Mönch ging und bewundernd erklärte, dass der Garten wirklich prächtig sei, ja sogar „beinahe“ perfekt. Der junge Mönch blickte bestürzt: „Nur ‚beinahe‘, verehrter Bruder? Was muss ich tun, um den Garten zur Perfektion zu bringen? Ich flehe Euch an, zeigt es mir!“. Daraufhin ging der Alte an einen Baum, spuckte in die Hände, fasste den Stamm und schüttelte so fest, dass der Baum seine Blätter wild über den Garten verteilte. „Jetzt ist Euer Garten perfekt, junger Bruder“.

Ein westeuropäischer Mönch ging in ein Kloster, das für besonders strenge Formen der Lehre bekannt war. Bald begann ein 60-tägiges Meditations- und Schweigeretreat. Die Mönche durften selbst zur Schlafenszeit die Halle nicht verlassen, sondern betteten sich auf ihre Meditationsmatten, bis der morgendliche Gong sie wieder zur Übung aufrief. Der Mönch erlebte Qualen und Schmerzen, und gegen Ende der sechzig Tage schien die Zeit immer langsamer zu verrinnen. Doch dann ertönte der letzte Gong und der Mönch atmete erleichtert auf. Da sprach der Abt: „Ihr habt sechzig Tage lang die Exerzitien gemeistert. Dafür beglückwünsche ich Euch. Und da einige Mönche so angetan davon sind, werden wir die Meditation um zwei weitere Wochen verlängern!“. Sprachs und schlug den Gong, um die Übung fortzusetzen. Der Mönch war entsetzt und in seinem Geist malte er sich aus, was er mit den Mönchen, die um Verlängerung des Retreats gebeten hatten, anstellen würde. Und als er sich gerade den weiteren Qualen ergeben wollte, ertönte wiederum der Gong und der Abt erklärte das Retreat und Schweigegebot für beendet. Der Mönch sprach seinen Nachbarn verwundert an: „Wie soll ich das verstehen, Bruder? Ich dachte, wir setzen die Übungen fort?“ Worauf der andere Mönch entgegnete: „Denke Dir nichts dabei. Das macht der Abt jedes Jahr so.“

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[1] Andreas Kieling: deutscher Abenteurer und Tierfilmer (u. a. „Mitten im wilden Deutschland“ und „Expeditionen zu den Letzten ihrer Art“  

3 Kommentare
  1. Beve sagte:

    regennasse stille. durch text und bilder wieder einen ort kennen gelernt, den ich nicht kannte. danke

    • War für mich auch ein überraschender Fund. Vor der Frankfurter Haustür gibt’s noch viel zu entdecken!

    • Beve sagte:

      wohl dem, der unterwegs ist :-)

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