Nachdem vor einer Woche Teile der vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) in Auftrag gegebenen Studie Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation [1] veröffentlicht wurden, rauscht es wieder im Blätterwald. Während die Macher der Studie (u. a. Historiker der Berliner Humboldt-Universität) zusammenfassend von „systemischer Dopingforschung“ sprechen, titeln die Medien „systematisches Staatsdoping“ und kommentieren Themen (Dopingversuche an Jugendlichen, Doping im Fussball), die sich durch die aktuell veröffentlichte Forschungsarbeit (noch) gar nicht wissenschaftlich korrekt belegen lassen.
Das Problem dabei: die Debatte wird jetzt wieder nur kurzzeitig sehr laut geführt und hängt sich an den verfälschenden Tönen der Medienberichterstattung auf, anstatt auf die eigentlichen Inhalte der Studie einzugehen. Damit macht man es den Beschwichtigern und Leugnern des westdeutschen Dopingsystems einfach, die Arbeit der Forschungsgruppe zu diskreditieren. Anschliessend wird Aktionismus bewiesen, man bildet Kommissionen und Ausschüsse und präsentiert am Ende schön klingende Grundsatzerklärungen. Dann kann wieder Ruhe eintreten.
Wie einfach man es den Verharmlosern macht, zeigt der Verlauf des Talks in der Jubiläumsausgabe des Aktuellen Sportstudio [2]. Der Moderator Michael Steinbrecher konfrontiert Studiogast Franz ‚Kaiser‘ Beckenbauer mit dessen Kommentar im STERN vom Mai 1977.
Steinbrecher: „Sie schrieben damals, ‚medizinisch ist heute in der Bundesliga praktisch noch alles erlaubt, was den Spieler zu Höchst- und Dauerleistung treibt‘. Dann erklären Sie, warum Sie das für bedenklich halten und sagen dann ganz klar, ’nicht alles was heute mit Fussballprofis gemacht wird ist harmlos, die Grenzen zum Doping sind fliessend‘. Warum kann man im Nachhinein nicht offen darüber reden, wenn das früher offensichtlich so war?“
Beckenbauer (etwas verwirrt): „Das hab ich gesagt? Kann es sein, dass ich einen Doppelgänger habe? (Steinbrecher zeigt ihm die Kopie des damaligen STERN-Artikels) Ja… ich bin natürlich überrascht über dieses… Kunstwerk. Aber ich war immer der Meinung, Doping im Fussball macht keinen Sinn […]. Ich war zwanzig Jahre Profi. Ich wurde noch von keinem irgendwie genötigt, etwas zu nehmen, was ich nicht wusste, was es ist. Natürlich haben wir auch unsere Vitaminspritzen bekommen. Vitaminspritze – keine Ahnung. Der Doktor hat gesagt ‚Vitaminspritze‘ […].“ (Studiopublikum lacht)
Steinbrecher: „Also Sie haben etwas bekommen, wussten aber nicht, was drin war?“
Beckenbauer: „Ich bin kein Arzt. Natürlich haben wir auch unsere Vitaminspritzen bekommen. (zum lachenden Publikum) Ja, was ist da jetzt?“
Der zweite Studiogast Rudi ‚Tante Käthe‘ Völler springt dem stammelnden Kaiser hilfreich zur Seite, indem er darüber schwadroniert, dass Dopingkontrollen im Fussball erst in den achtziger Jahren durchgeführt wurden. Das Thema versandet. Es wäre wohl auch naiv zu glauben, die Lichtgestalt Beckenbauer dürfe durch einen ZDF-Moderator ungestraft vor laufenden Kameras gegrillt werden!
Dass von staatlicher Seite in Westdeutschland das Doping gefördert und mit Steuergeldern unterstützt wurde, ist auch kein ganz so neues Thema, wie es uns die aktuelle Medienerregung verkaufen will. Zwischenergebnisse der o. g. Forschungsarbeit wurden bereits in den Jahren 2010 bis 2012 öffentlich diskutiert. Jahre vorher gab es schon detaillierte Recherchen über das bundesdeutsche Dopingsystem: Doping im Spitzensport von Treutlein / Singler (2000) und Doping Dokumente – von der Forschung zum Betrug von Berendonk / Franke (1991). Aber diese Veröffentlichungen wurden durch entsprechende Ausschüsse gezogen bis sie weichgespült waren und die allgemeine Erregung nachliess. Keiner der westdeutschen Honorationen und Mediziner in den Verbänden und Institutionen musste Konsequenzen fürchten, während ostdeutsche Sportler und Trainer namentlich genannt und öffentlich geteert und gefedert wurden. Geschichte wird vom Sieger geschrieben. Und die Sieger verhindern weiter erfolgreich, dass Doping zum Straftatbestand erklärt wird!
Wer in kompakter Form gerne mehr über die Hintergründe, Inhalte und Probleme der Studie erfahren möchte, wird im Artikel „Ein zu frühes Urteil“ von Grit Hartmann (Berliner Zeitung vom 04. August 2013) bestens bedient!
Übrigens: Bei allen neu aufflammenden Diskussionen über Doping im Profifussball… eine Bundesligamannschaft ist garantiert völlig dopingfrei – meine Eintracht Frankfurt (Beweis: alle Videoaufzeichnungen der 1:6-Niederlage zum Saisonauftakt gegen Hertha BSC)!
Quellen: [1] Sechs pdf-Dateien sind auf der Seite des BISp abzurufen: Klick… [2] Gesprächsrunde im Aktuellen Sportstudio vom 10. August 2013 mit Mario Götze, Franz Beckenbauer und Rudi Völler: Kapitel „Einladung war wie eine Heiligsprechung“ in der ZDF-Mediathek